Beklagen und geschehen lassen

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Viel wird in unserem Land in diesen Tagen über eine drohende oder bereits in vollem Gange befindliche Spaltung der Gesellschaft lamentiert. Und der Befund ist ja durchaus richtig: Bereits seit Jahren kann man – auch empirisch belegt – eine Erosion der sogenannten „Mittelschicht“ beobachten. Jener bürgerlichen Mittelschicht, die in Deutschland über Jahrzehnte nicht nur ein Zeugnis sozialen Aufstiegs war, sondern auch Garant für gesellschaftlichen und damit politischen Frieden.

Die Mittelschicht, das waren die, die ein kleines Häuschen oder eine eigene Wohnung hatten mit einem Golf davor und einmal im Jahr für zwei Wochen all inclusive nach Teneriffa fliegen konnten. Es ist auch keineswegs so, dass es diese weder reiche noch arme Mittelschicht der Gesellschaft nicht mehr gibt. Aber genau diese Gruppe ist es, die seit der Finanzkrise vor über 10 Jahren und jetzt wieder verstärkt nach der Pandemie und in der von Energiepreisen getriebenen Inflation zu leiden hat.

Abstieg in die soziale Schieflage

Die Lohn- und Gehaltsentwicklung der Beschäftigten hat in den vergangenen Jahren praktisch nie vollumfänglich mit der Inflationsrate Schritt halten können und seit dem die Inflation seit über einem Jahr auf zuletzt zweistellige Werte angestiegen ist, kann man den Kaufkraftverlust der arbeitenden Bevölkerung mit Händen greifen. Da helfen auch kein „Doppelwumms“ oder irgendwelche populistischen Corona-Einmalzahlungen. Die Teuerung, die erst jetzt mit etwas Verzögerung voll auf dem Bankkonto der Menschen einschlägt, raubt vielen, die früher eindeutig noch zur Mittelschicht gehörten, die finanzielle Luft zum Leben.

Der Prozess beginnt oft schleichend. Man veräußert das Auto, weil die Spritpreise steigen, immer häufiger Reparaturen am Fahrzeug nötig werden und ein Neuwagen nicht mehr bezahlbar ist. Und statt Teneriffa muss es nun das Steinhuder Meer sein – möglichst in der günstigen Nebensaison.

Was hat das mit Spaltung zu tun?

Nun mag man sich fragen, was an dieser zunächst einmal eher buchhalterischen Notlage nun die Gesellschaft spalten soll. Aber es ist in der Tat ein frappierender Zusammenhang zwischen der Stabilität im Land – welche früher wie gesagt von der „Mittelschicht“ getragen wurde – und sozialer Schieflage.

Denn es ist ganz banal doch so: Wenn sich in der Mitte von irgendetwas ein Graben auftut, haben sowohl diejenigen auf der einen als auch diejenigen auf der anderen Seite keinen Zugang mehr zueinander. Und das passiert gefühlt in unserem Land. Während „die da oben“, sprich die reichen Eliten, die Krisen auf wundersame Weise immer fast unbeschadet überstehen, wird ein großer Teil der bisherigen Mittelschicht in das ohnehin schon bedenklich große Armenhaus überführt. Das sind Menschen und Familien, die mehr oder weniger in ständigem Mangel leben. Da geht es also nicht mehr nur darum, ob der Urlaub im Sommer vielleicht nicht ganz so exotisch wird, sondern es ist schlichtweg keiner mehr finanzierbar. So muss man auf Balkonien bleiben oder die Wäsche in der Münzwäscherei waschen, weil die eigene Waschmaschine kaputtgegangen ist und eine neue erst vom Munde abgespart werden muss.

Wir kennen das Problem, aber leben prima damit

Nun sind wir auf unseren Twitter-Kanälen und in der Betriebskantine alle unheimlich leidenschaftlich dabei, diesen Zustand, diese Entwicklung zu beklagen. Und dennoch haben wir uns damit abgefunden. Manchmal leben wir sogar ganz prima damit. So lange wir noch nach unten schauen, beziehungsweise Menschen kennen und sehen, denen es wirtschaftlich noch schlechter geht, richten wir und gern mit dem „Eigentlich geht es uns doch noch gut“-Gedanken auf. Doch der Gedanke ist ein Gaukler und verstellt den Blick dafür, dass die ganze Politik inzwischen unabsichtlich aber spürbar darauf ausgerichtet wird, die Leistungsträger, die sogenannten, zu subventionieren und den kläglichen Rest der Gesellschaft zu vernachlässigen.

Beispiele gefällig? Die Förderung einer neuen Heizung kann natürlich nur jemand in Anspruch nehmen, der eine Immobilie besitzt. Eine Förderung für ein Elektroauto bekommt nur jemand, der sich ein Auto leisten kann. Eine Pendlerpauschale bekommt man nur wenn man pendelt, sprich: Arbeit hat. Das Feuer der sozialen Spaltung wird also durch die Subventionspolitik wie mit einem Blasebalg angefacht. Und das hat ja auch Gründe. Man erhofft sich von jenen Subventionsempfängern, dass sie investieren. Beispielsweise in eine neue Heizung, die wiederum für den Klimaschutz wichtig ist.

Doch die alten und neuen Armen sind hier ausgeklammert. Sie werden den oben beschriebenen Graben weder überschreiten noch zuschütten können. Wir wissen das. Und lassen es geschehen.

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