Verblassende Sterne, elektrisierte Kunden

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Foto oben: Seit über 100 Jahren lässt Daimler am Standort Marienfelde ganz im Süden Berlins Fahrzeugkomponenten und Motoren bauen. Jetzt droht ein Job-Kahlschlag.

Niemand wollte es kommen sehen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will es heute noch nicht kommen sehen. Das Zeitalter des Verbrennungsmotors geht zu Ende und die deutsche Autoindustrie, die diese Antriebsform vielleicht besser als jeder andere Hersteller der Welt technologisch beherrscht, steckt damit tief in der Krise. Und anders als die Manager der Autoindustrie dieser Tage gern wissen lassen, sekundiert von dumpfen Parolen der AfD, ist nicht die Corona-Krise Schuld daran und schon gar nicht die Politik der Bundesregierung. Corona wirkt allenfalls als ein Katalysator, der den Transformationsprozess, der ohnehin bereits passiert, stark beschleunigt.

In Marienfelde geht die Angst um

Es ist ein regnerischer September-Freitag im Süden Berlins. Erstmalig in diesem Herbst ist das Wetter wie die Jahreszeit und die Stimmung sowieso. Einen Tag zuvor machten Medienberichte die Runde, wonach die Daimler AG am traditionsreichen Standort womöglich die Hälfte aller Stellen abbauen will und die Produktion von vermeintlich hochmodernen Dieselaggregaten in spätestens zwei Jahren beendet.

Die Gewerkschaften grollen, die Beschäftigten sind ernüchtert und obwohl diese Ankündigung der Daimler AG keineswegs ein Einzelfall in der deutschen Automobilbranche in diesen Tagen ist, so ist dies hier doch eine besonders typische Geschichte. Der Mercedes-Stern verblasst in der sich radikal in Richtung Elektromobilität wandelnden Autowelt besonders schnell. Weder der ehemalige Daimler-Vorstandschef Zetsche, noch dessen Zögling und Nachfolger Olla Källenius haben eine Vision oder eine Strategie für die Elektrifizierung der Produktpalette von Daimler. Die wenigen Modelle, die man mit Verzögerung auf den Markt geworfen hat, ernteten wie im Falle des EQC, der nichts weiter als ein umgebauter Verbrenner ist, Hohn und Spott. Die elektrifizierte S-Klasse, die es technologisch und psychologisch richten soll, steht noch in den Entwicklungslabors und stattdessen wirft Daimler weiterhin jede Menge neuer Verbrennungsmodelle und Plug-in Hybriden auf den Markt. Im Portfolio der Schwaben blickt jedenfalls kein Mensch mehr durch – oder kennen Sie auf Anhieb die Unterschiede zwischen GL, GLA, GLB, GLC und GLE!? Man hat sich verzettelt, schon lange vor Corona. Nun sitzt Daimler auf Überkapazitäten und hat ein veraltetes Technologie-Portfolio.

Rabattschlachten? Das kann sich Daimler nicht leisten

Schlimmer noch: Anders als vielleicht mancher andere ebenfalls in der Krise befindliche Hersteller, kann sich die Daimler AG keine Teilnahme an der allgemeinen Rabattschlacht leisten. Sicher, Rabatte werden im nur wenige Meter vom Marienfelder Werk stehenden Mercedes-Autohaus auch gegeben, aber zu üppige Rabattschlachten würden das Image der Premium-Marke Mercedes kaputtmachen. Da bleiben dem Vorstand offenbar nur wenige Möglichkeiten, der Rotstift ist die bequemste und dümmste davon, die bei den Investoren allerdings traditionell am Besten ankommt.

Doch es ist natürlich der falsche Weg. Einzig Konkurrent Volkswagen hat begriffen, dass man in dieser Situation nicht weniger investieren mus, sondern mehr. Ein beispielloses Programm hat VW-Chef Herbert Diess im Konzern initiiert – übrigens ausgerechnet gegen den Widerstand von Gewerkschaften und dem konzerneigenen Verbrenner-Establishment. Und siehe da – erste Erfolge des Muts von Volkswagen sind schon erkennbar. Der technologisch zumindest auf Augenhöhe agierende Elektro-Erstling ID.3 wird ausgeliefert, wurde sogar vom Elektroauto-Papst Elon Musk kürzlich wohlwollend Probe gefahren und der große Bruder ID.4 steht auch schon in den Startlöchern.

Daimler dagegen steht mit fast leeren Händen da, musste sein nächstes Elektromodell EQA kürzlich erneut verschieben. Und jetzt müssen wieder an vorderster Front die Mitarbeiter unter den Managementfehlern leiden. Auch das ist ein altbekanntes Schema. Dabei haben es die Daimlerianer immerhin einfacher als manche Kolleginnen und Kollegen von kleineren Zulieferern. Denn im Konzern wurde schon lange eine Beschäftigungssicherung vereinbart – betriebsbedingte Kündigungen sind vorerst ausgeschlossen, natürlich Fluktuation und freiwillige Lösungen müssen den geplanten Stellenabbau liefern. Doch die schlausten Arbeiter des Werks in Marienfelde gehen vielleicht selbst – nachdem sie sich erfolgreich einige Kilometer weiter östlich beim Elektroauto-Pionier Tesla in Grünheide beworben haben.

Funfact: Daimler war mal Minderheitsaktionär bei Tesla und ist dann ausgestiegen. Unter anderem weil man in der Stuttgarter Zentrale damals nicht so recht an die Zukunft der Elektromobilität glaubte. Was für ein Irrtum!

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