Von einer Blase in die nächste

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Foto oben: Auf zu neuen Social-Media-Horizonten? Wohl kaum. Die Flucht vor allem linker Twitterer zu Mastodon fördert ausgerechnet jene Blasen-Bildung, die die „Flüchtenden“ selbst gerne kritisieren.

Was für eine Aufregung in den sozialen Medien! Seit der exzentrische Milliardär Elon Musk vor einigen Wochen in einer beispiellosen Übernahmeschlacht den verlustträchtigen Social Media Dienst Twitter aufgekauft hat, verlassen vor allem linke Twitter-Nutzer die Plattform in Scharen in Richtung der vermeintlichen Alternative Mastodon.

Dabei sind die jüngsten Entwicklungen auf so vielen Ebenen feinste Ironie des Schicksals. Es fängt bereits damit an, dass jener Elon Musk, bevor er sich in den letzten Monaten politisch in der Tat immer mehr rechten oder mindestens marktradikalen Positionen angenähert hat, eigentlich ein Ikone der linken und grünen Avantgarde gewesen ist. Ein südafrikanischer Einwanderer, der die klassische „Vom Tellerwäscher zum Milliardär“-Geschichte verkörpert und dabei auch noch der bislang dreckschleudernden Autoindustrie einen sauberen und lautlosen Gegenentwurf in den Innenhof gestellt hat und mittlerweile die gesamte Branche zum Nachahmen seiner Autos zwingt, weil der Kunde alles was nicht elektrisch fährt und wenigstens halb so cool wie ein Tesla ist, beim Autohändler stehen lässt.

Dann hat der Mann auch noch nebenbei wiederverwendbare Raketen für Mond- und Mars-Missionen entwickelt, baut gigantische Tunnel zur Lösung von Verkehrsinfarkten und raucht auch schonmal live einen Joint in einer Radioshow. Grandios – ein ideales Vorbild für linke und grüne Geister.

Wenn da nur nicht Musk‘s jüngste Äußerungen zu „Wokeness“, Demokraten und Meinungsfreiheit gewesen wären: Mit der nunmehr abgeschlossenen Übernahme von Twitter, die Musk selbst mit dem vieldeutigen Tweet „The bird is freed“ feierte, ist der Bruch zwischen Musk und jenen, die ihn einst feierten, endgültig vollzogen. Der Milliardär hat dann in seinem typischen Führungsstil auch keine Minute Zeit verloren und baut Twitter nach seinen Vorstellungen um. Massenentlassungen, eine Sperre von kritischen Journalisten, die Aufhebung der Sperre des Trump-Accounts … fast könnte man meinen, Musk habe es bewusst darauf angelegt, seine zahlreichen Kritiker zu reizen, so wie einst die Shortseller an der Börse.

Diese Kritiker ließen sich auch ohne mit der Wimper zu zucken provozieren und verlassen nun die Plattform in Richtung des dezentralen Social Media Dienstes Mastodon, der eigentlich nicht viel mehr als eine dreiste Twitter-Kopie ist.

Die beißendste Ironie an der ganzen Geschichte ist jedoch, dass die Flüchtenden und selbst erklärten Retter der Meinungsfreiheit auf Twitter nun genau diese mit Füßen treten, in dem sie sich mit Gleichgesinnten in ein anderes Netzwerk flüchten, in dem – zumindest vorerst – kein Widerspruch droht. Man muss kein Soziologe sein, um zu verstehen, dass diese Art der Diskursbewältigung in den sozialen Medien gar keine ist, sondern nur die alte These von Social Media Kritikern bestätigt, dass diese Plattformen nur Blasen sind, in denen man sich von Filtern, Likes und notfalls der Blockierfunktion die Zustimmung und das Folgen Gleichgesinnter ergaunert. Diskussionen, Debatten, faire Auseinandersetzungen und auch mal das „sich Überzeugen lassen“ von anderen Positionen – das verlernen wir zusehends. Da nehmen sich Elon Musk und seine Kritiker nichts.

Ich werde jedenfalls bei Twitter bleiben. Und wenn der Dienst irgendwann tatsächlich nicht mehr existiert, weil ihn Musk wie seine Kritiker es ihm wünschen, vor die Wand gefahren hat, dann wird es mir seelisch weiterhin gut gehen. Auch ohne eine andere Plattform.

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