Der Inflationsgeist, den wir riefen

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Die meisten Menschen in diesem Lande kennen hohe Inflationsraten nur aus Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern. Zumindest länger andauernde Phasen der überbordenden Teuerung ohne einen adäquaten Ausgleich auf der Einkommensseite hat man seit rund 100 Jahren hierzulande nicht erlebt. Die letzten spürbaren Wellen eines Preisauftriebs zum Beispiel im frisch wiedervereinten Deutschland Ende des vorigen Jahrhunderts oder auch zuvor in den 70er Jahren waren alle wenigstens zeitversetzt mit bemerkenswerten Lohnsteigerungen und einem Vermögensaufbau in der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht verbunden.

Nun aber steht erstmals seit langer Zeit die reale Gefahr im Raum, dass Deutschland in eine längere sogenannte „Stagflation“, also eine Teuerungsphase bei gleichzeitig sinkender Wirtschaftsleistung hineingleitet. Und in einer solchen Phase wird es schwierig, durch Lohnforderungen einen angemessenen Ausgleich für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erreichen – da können sich die Gewerkschaften dann noch so sehr strecken. Denn wenn das Wirtschaftswachstum fehlt, kann die Arbeitgeberseite in Tarifverhandlungen immer behende die „Jobabbau-Keule“ schwingen und die Gewerkschaften dafür verantwortlich machen, wenn dann notgedrungen Arbeitsplätze abgebaut werden müssen wegen vermeintlich nicht finanzierbarer Lohnforderungen. Dem einzelnen Arbeitnehmer, der dann womöglich eine magere Tarifrunde zu schlucken hat, hilft das natürlich herzlich wenig, dass er seinen Job behält. Der Vermieter schickt die Mieterhöhungen einschließlich angehobener Vorauszahlungen für Betriebskosten sowieso. Auch der Stromanbieter lässt sich mit einem Druck auf die Tränendrüse und Hinweis auf einen mageren Lohnzettel natürlich nicht von seiner Preiserhöhung abbringen und so beginnt ein Teufelskreis, der Deutschlands Bevölkerung mühsam erarbeiteten Wohlstand kostet.

Zumal man auch auf den noch vorhandenen Sparkonten angesichts weiterhin kaum messbarer Habenzinsen und hoher Teuerung dem Geld quasi bei der Entwertung zusehen kann.

Düstere Prophezeiungen

Das Gejammer ist nun allenthalben groß. Man ächzt unter den sprunghaft gestiegenen Preisen wahlweise an der Zapfsäule, dem Blick in den Briefkasten sowie anschließender Durchsicht der monatlichen Rechnungen oder vor dem Nudelregal im Supermarkt. Das sogenannte „Inflationsziel“ der EU, bei der die Teuerungsrate möglichst um oder leicht unter 2 Prozent verbleibt, wurde schon vor dem Ukraine-Krieg gerissen. Haupttreiber der Teuerung war schon in den vergangenen Monaten die Energie. Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine – so überraschend er für manche Beobachter auch gekommen sein mag – hat sich also keineswegs ein völlig neues Problem einer Energiekrise erhoben, sondern lediglich ein bereits vorher erkennbarer Trend drastisch verstärkt.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland wurden freilich dennoch kalt von der Entwicklung erwischt. Viele hatten sich gerade noch über ein kleines Gehaltsplus zum Jahreswechsel gefreut und keine zwei Monate später ist nun der Druck auf die Haushaltskasse wieder immens.

Dabei dämmert inzwischen vielen Bürgerinnen und Bürgern, dass die Kostenspirale an der Tankstelle und im Heizungskeller nicht aufhört. Fatal ist nämlich der Umstand, dass Preissteigerungen bei Waren und Dienstleistungen aller Art am Ende immer an den Kunden weitergegeben werden. Das kann je nach Produkt und Serviceleistung zwar dauern, aber es ist fast immer unausweichlich.

Dieser Tage werden die düstersten Prophezeiungen der (nach diesem törichten Tweet von DIW-Chef Fratzscher eben nicht immer falsch liegenden) Ökonomen in Sachen Preisentwicklung sogar noch übertroffen. Begleitet wird die Preisexplosion etwa in der Lebensmittelbranche noch von Lieferengpässen, weil die nun in Schutt und Asche liegende Ukraine die „Kornkammer der Welt“ ist und auch Deutschland sein Getreide vielfach aus der Ukraine importiert und auf heimischen Feldern statt Weizen lieber Mais-Monokulturen für die Bioenergie-Produktion anbaut.

Hausgemachte Probleme, von denen Manche auch noch profitieren

Der Nährboden für die jetzt rasend schnell um sich greifende Inflation ist dabei keineswegs frisch eingebracht worden. Er liegt schon lange da, nämlich seitdem es in Europa und auch in Übersee populär wurde, aus Schulden ein Geschäftsmodell zu machen. Das geht so: Staaten schütten schon bei auch nur im Ansatz auftretenden Problemen alles hemmungslos mit Geld zu, verschulden sich völlig losgelöst von jeglicher Haushaltsdisziplin und Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen und machen mit ihren schändlichen Schulden dann dasselbe, was Sparer zwangsweise bei ihren Vermögen tun müssen. Sie schauen den Buchwerten bei der Entwertung zu und lachen sich als Schuldner dabei ins Fäustchen. Voraussetzung dafür ist natürlich ein dauerhaft aberwitzig niedriges Zinsniveau, garniert mit Geldflutung des Marktes und neuerdings sogar Strafzinsen auf Spareinlagen. Das alles wird natürlich so nicht nach außen verkauft, sondern geschieht vorgeblich nur zur Ankurbelung der Wirtschaft, doch tatsächlich angekurbelt wird damit auf Dauer nur eines: die Inflation.

Wer einmal an der Nadel hängt …

Und jetzt haben wir den Salat, denn nun – in der durch zusätzliche Faktoren (Pandemie, Krieg) außer Kontrolle geratenen Teuerung – fehlt den Notenbanken der Mut, das einzig Richtige zu tun. Das nämlich wäre eine schnelle und spürbare Zinswende.

Wie aber reagiert ein schwer Heroin-Abhängiger, wenn man ihn abrupt von der Nadel trennt? Das wollen die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Notenbanken in Europa offenbar gar nicht erst ausprobieren, da der „kalte Entzug“ ihrer „heroinabhängigen“ Schuldenländer vermutlich zu Problemen führen würde, die das vereinte Europa zerreißen könnte. Insbesondere die schwerwiegend schuldenbelasteten Südländer wie Griechenland oder auch Italien könnten dann auf die Barrikaden steigen. Und Deutschland als relativ reiches Land wäre zumindest ein lukratives Geschäftsmodell los, denn aufgrund seiner guten Bonität kann sich in Europa kaum jemand so lächerlich billig verschulden wie Deutschland – noch.

Es ist ein Dilemma, aus dem es eigentlich kurzfristig kein Entkommen gibt. Die EZB hat jedenfalls keinerlei Signale gesendet, auf die Ukraine-Krise mit einer Zinswende reagieren zu wollen. Lediglich die Anleihenkäufe, ein weiteres Relikt aus wirtschaftlichen Krisenzeiten, sollen früher als geplant auslaufen. Das wird die Inflation nicht stoppen und ist allenfalls ein symbolischer Akt.

So kann man dem Gelackmeierten dieser Entwicklung, nämlich Otto-Normalverbraucher, nur zu maximalem „bürgerlichen Ungehorsam“ in finanzieller Hinsicht raten, um gegen diese unsägliche Finanzpolitik zu protestieren. Wer kann, sollte sein Geld möglichst schnell von den Banken abziehen und in halbwegs inflationsfeste Anlagen stecken. Da bieten sich zum Beispiel erneuerbare Energieprojekte oder entsprechende Fonds an. Immobilien sind trotz des in Metropolen bereits astronomischen Preisniveaus auch immer noch eine gute Wette. Oder begehen Sie einfach mal dieselben Sünden, wie viele EU-Staaten: Verschulden Sie sich! Die Inflation wird uns schließlich erhalten bleiben und ihre Schulden damit auf wundersame Weise schrumpfen lassen*).

*) Disclaimer: Das ist kein Anlagetipp, sondern Ironie.

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