Foto oben: Wer hat die Eier, in der Pandemie die richtigen Entscheidungen zu treffen und diese nachvollziehbar zu vermitteln?
In der andauernden Corona-Pandemie wird allseits der in Deutschland gelebte Föderalismus gelobt und mit ihm die in den Ländern verortete Zuständigkeit für Gesundheitspolitik. Doch seit die zweite Welle des Corona-Virus über die Bundesrepublik hereingebrochen ist und man sich nach einem gemeinsamen Blick in die Geldbörse der öffentlichen Hand offenbar geschworen hat, einen zweiten Lockdown um jeden Preis verhindern zu wollen, geben die Regierungen vieler Bundesländer im bislang viel gelobten Zusammenspiel ein desolates Bild ab.
Das scheint zunehmend auch die Bundeskanzlerin zu denken, die bereits beim vorletzten und virtuell abgehaltenen Bund-Länder-Treffen zu COVID-19 leise Kritik an der Zerstrittenheit und dem Hang zur „Landes-Extrawurst“ geübt hatte. Äußerst undiplomatisch hatte das Kanzleramt beim jüngsten Treffen mit den Ministerpräsidenten auch explizit auf einer Präsenzsitzung in Berlin bestanden. Die Kanzlerin ist bekannt dafür, ihren Gesprächspartnern gerade bei strittigen Verhandlungen tief in die Augen sehen zu wollen.
Deutliche Worte statt „Merkel-Raute“
Diesmal hat aber auch das nichts genutzt und der Frust der ansonsten transzendental in sich ruhenden Bundeskanzlerin schlug sich in den viel zitierten Worten „es reicht einfach nicht, was wir hier machen“ nieder. Quer über die Parteigrenzen hinweg herrschen in den Bundesländern weiterhin unterschiedliche Auffassungen über die derzeit geläufigen Instrumente gegen die Ausbreitung des Virus. Egal ob Beherbergungsverbot, erweiterte Maskenpflicht oder Sperrstunde – die Meinungen beispielsweise der SPD-Ministerpräsidenten Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Müller (Berlin) widersprechen sich diametral. So hat man sich dann wieder einmal nur auf minimale Formeln geeinigt. Es wird überall ein bisschen mehr von dem getan, was schon in den vergangenen Wochen nicht zur Abflachung der Kurve geführt hat und man ahnt von Tag zu Tag deutlicher, was die Kanzlerin neulich mit ihrem zunächst absurd klingenden 19.200 Neuansteckungen-Szenario an Weihnachten gemeint hat.
Das böse Wort mit „L“
Hinzu kommt der ärgerliche Umstand, dass viele Maßnahmen, die jetzt als eine Art „Anti-Lockdown-Voodoo“ verordnet werden, nicht mal gerichtsfest sind. Schon kippen bundesweit Richter Beherbergungsverbote und Sperrstunden für Bars und Restaurants. Man darf doch als Wähler eigentlich verlangen, von Fachleuten regiert zu werden, die auch unter Pandemie-Druck gerichtsfeste Entscheidungen treffen.
Stattdessen ist zurzeit kein Bundesland erkennbar, in dem die Landesregierung klug und nachvollziehbar durch die Krise führt. Zwar offenbart der Blick in die Karten des aktuellen Infektionsgeschehens eine vermeintliche Konzentration der Hotspots auf Berlin und die alten Bundesländer, doch hat das mit cleverer Regierungsarbeit vor Ort wenig zu tun. Denn die Linien der Ost-Landesfürsten reichen ebenfalls von streng (Schwesig / Mecklenburg-Vorpommern) bis hin zu ignorant (Haseloff / Sachsen-Anhalt).
Da kann man fast schon diejenigen Wenigen verstehen, die in der Krise eine vorübergehende Verlagerung der gesundheitspolitischen Richtlinienkompetenz zum Bund einfordern. Zwar ist es nun nicht so, dass Länder mit einer eher zentralistischen Gesundheitspolitik besser dastehen – siehe Frankreich – doch geht der geistige Lockdown einiger Landesregierungen in Deutschland zumindest mir zunehmend auf die Nerven. Besonders ärgerlich ist die „Da machen wir nicht mit“-Haltung von Landesregierungen, in deren Einflussbereich die Ansteckungslage (noch) relativ moderat ist. Solche Standpunkte sind das genaue Gegenteil vom Geist der Gemeinsamkeit, die dem bundesrepublikanischen Föderalismus zugrunde liegt.