Das Gift der Pauschalisierungen

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Worte werden Waffen sein.

Dirk von Lowtzow, Tocotronic

Medienkonsum – vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis hin zu Twitter & Co. – ist dieser Tage in Deutschland kaum noch zu ertragen. Überall werfen scheinbar intelligente und differenziert denkende Menschen mit Pauschalurteilen und Verunglimpfungen um sich. Statt einen sachbezogenen Diskurs über die durchaus komplizierten Themen dieses Jahres zu suchen, wird alles, was nicht in den Meinungs-Mainstream passt, mit dem leibhaftigen Bösen gleichgesetzt. So sind Diejenigen, die die Verhältnismäßigkeit der Maskenpflicht und andere verordnete Pandemie-Schutzmaßnahmen hinterfragen, gleich „Corona-Leugner“. Andere, die radikale Positionen zum Klimaschutz kritisieren, sind „Klimawandel-Leugner“ und wer Fleisch ist, gilt gern mal als Tierquäler, obwohl er – im Gegensatz zu Queen Elisabeth der II. – noch nie einem Fasan den Hals umgedreht hat.

Unterste Schublade

Sicher, Menschen neigen seit jeher zu sogenanntem Schubladen-Denken. Immer – ohne das wir uns dessen in diesen Momenten bewusst sind – sortieren wir das Gegenüber schon beim Kennenlernen in eine Schublade ein. Warum aber muss es neuerdings immer die unterste sein? Wir haben verlernt, in unserem Schubladen-Denken zumindest solange inne zu halten, bis wir das Wesen und die Gesinnung unseres Gesprächspartners wenigstens halbwegs durchschaut haben. Ich glaube noch nicht einmal, dass das immer aus bösem Willen geschieht. Es ist häufig Bequemlichkeit, aber das macht es nicht besser. Im Ergebnis ist es dasselbe. Wir stoßen unsere Gesprächspartner vor den Kopf, noch bevor diese etwas sagen konnten. Und das bleibt nicht ohne Folgen. Das gekränkte Gegenüber verweigert dann im schlimmsten Fall selbst den Dialog – verständlicherweise. Und der Rebound-Effekt folgt auf dem Fuße: „Ha! Hab ich es doch gesagt, er hat keine Argumente.“ Schon fühlt man sich im eigenen Vorurteil bestätigt und pauschalisiert weiter munter vor sich hin. So ist das Leben einfach und bequem, die eigene Position wird nicht mehr hinterfragt. Von anderen nicht, weil man es selbst nicht mehr zulässt und von innen heraus nicht, weil einen ja niemand in Frage stellt. Der Teufelskreis schlechthin!

Gift und Galle in den sozialen Medien

Ich bin beileibe nicht der Erste, der den Begriff „soziale Medien“ für einen Euphemismus hält. Schaut man hinein, schallt einem Gift und Galle entgegen. Aussagen werden teilweise bewusst fehlinterpretiert oder aus dem Zusammenhang gerissen, nur um diese unterste Schublade zu bedienen, in die man den Anderen so gerne stecken möchte.

So geht es nicht weiter. Es wird Zeit, wieder zuzuhören und auch mal zu schweigen. Geben wir unseren Mitmenschen wieder die Zeit, sich zu erklären. Nehmen wir deren Positionen wieder hin, auch und gerade wenn sie nicht den unseren entsprechen. Vielleicht wird dann aus dem „Corona-Leugner“ am Nebentisch überraschend schnell jemand, der einfach nur noch Fragen hat zu einem hoch komplizierten Thema unserer Zeit. Oder vielleicht hat er oder sie ja sogar Antworten auf Fragen, die im Zusammenhang mit Corona noch nicht gestellt wurden. Wir sollten es immer ausprobieren. Für einen Gesprächsabbruch ist es nie zu spät, aber fast immer zu früh.

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